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Stress­stu­die: Immer mehr unter Druck – Corona belastet jeden Zweiten

Deutschland steht unter Stress: Knapp zwei von drei Menschen in Deutschland (64 Prozent) fühlen sich mindestens manchmal gestresst. Mehr als ein Viertel sogar häufig (26 Prozent). Das zeigt die Stressstudie „Entspann dich, Deutschland!“ der Techniker Krankenkasse (TK), die heute auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Basis für die Studie ist eine bevölkerungsrepräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der TK, für die bundesweit 1.000 Menschen ab 18 Jahren befragt wurden. „Es zeigt sich, dass der subjektiv empfundene Stress bei den Menschen in den vergangenen Jahren noch einmal signifikant zugenommen hat“, erklärt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. „Im Vergleich zu unserer ersten Studie von 2013 verzeichnen wir bei den häufig Gestressten einen Anstieg um 30 Prozent.“ 

Corona-Effekte

Die Coronapandemie hat starke Auswirkungen auf das Stressempfinden der Menschen in Deutschland. Auf die Frage, ob ihr Leben seit Beginn der Pandemie stressiger geworden ist, antwortet rund die Hälfte der Befragten mit Ja (47 Prozent). Familien mit Kindern im Haushalt fühlen sich stärker gestresst (60 Prozent) als Haushalte ohne Kinder (43 Prozent). Besonders gestresst sind Erwerbstätige im Homeoffice mit mindestens einem Kind (64 Prozent) im Vergleich zu Beschäftigten im Homeoffice ohne Kind (42 Prozent). Prof. Dr. Bertolt Meyer von der TU Chemnitz hat die Daten für die TK ausgewertet: „Die Befragung fand im März 2021 statt, mitten im zweiten Lockdown mit all seinen Herausforderungen, das hatte natürlich auch Einfluss auf die Antworten.“

Stressfaktor Nummer eins: die Arbeit

Stressfaktor Nummer eins ist – wie auch schon vor der Pandemie – der Bereich Beruf, Schule, und Studium. Das gaben 47 Prozent der Befragten als Stressgrund an. Es folgen hohe Ansprüche an sich selbst (46 Prozent), eine schwere Krankheit von jemandem, der einem nahe steht (31 Prozent), Konflikte mit nahestehenden Menschen (26 Prozent), ständige Erreichbarkeit durch Handy und soziale Medien (25 Prozent) sowie zu viel Freizeitstress (24 Prozent). 

Professor Meyer: „Bei den Stressgründen erkennen wir einen deutlichen Einfluss der Coronapandemie. Die Sorge um nahestehende erkrankte Angehörige spielte bei den vorherigen Befragungen eher eine untergeordnete Rolle. Jetzt ist sie auf Platz drei der häufigsten Stressgründe.“ Auffällig sei auch, dass der Belastungsfaktor „Teilnahme am Straßenverkehr“ in der aktuellen Befragung vom vierten auf den siebten Platz gerutscht ist. „Durch Homeoffice mussten nicht mehr so viele Beschäftigte regelmäßig pendeln“, so Meyer. „Dafür haben die Konflikte in der Partnerschaft zugenommen.“ 

Stress geht auf Körper und Psyche

Vor allem lange Stressphasen fordern ihren Tribut. „Neben körperlichen Beschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Magenbeschwerden kann Dauerstress auch auf die Psyche gehen“, erklärt TK-Chef Baas. „Die Bandbreite reicht bis hin zu Erschöpfung und Depressionen.“ Laut Studie leidet von den häufig Gestressten ein Großteil unter Erschöpfung (80 Prozent), Schlafstörungen (52 Prozent), Kopfschmerzen und Migräne (40 Prozent) oder Niedergeschlagenheit bzw. Depressionen (34 Prozent). Zum Vergleich: Bei den selten Gestressten sind es in fast allen Kategorien weniger (Erschöpfung 13 Prozent; Schlafstörungen 28 Prozent, Kopfschmerzen und Migräne 13 Prozent, Niedergeschlagenheit/Depressionen 7 Prozent). 

So schaltet Deutschland ab: Top 5 Entspannungsstrategien

Um für mehr Ausgleich im Alltag zu sorgen, haben die Menschen unterschiedliche Strategien. Die Top fünf Antworten sind: Hobbys (80 Prozent), spazieren gehen oder Gartenarbeit (77 Prozent), gemütlich faulenzen (71 Prozent), Musizieren oder Musik hören (69 Prozent) sowie Treffen im Freundeskreis und mit der Familie (68 Prozent). Auch hier zeigt sich der Einfluss von Corona. Bertolt Meyer: „Soziale Aktivitäten wie Freunde und Bekannte treffen lagen 2016 noch auf dem dritten Platz der Entspannungsstrategien. Das war durch die Pandemie im Befragungszeitraum nur eingeschränkt möglich. Stattdessen haben die Menschen sich bei Tätigkeiten erholt, die sie auch alleine machen können wie zum Beispiel ihrem Hobby nachgehen, Gartenarbeit oder Musik hören.“ 

Auch die Arbeitgeber sind gefragt

Doch nicht immer reichen Hobby und Freizeit aus, die Batterien wieder aufzuladen. Diplom-Psychologin Suzanne Jones, die seit zehn Jahren Unternehmen und Hochschulen in Sachen Stressmanagement berät, erklärt: „Negativer Stress wird sich nie ganz vermeiden lassen. Aber man kann lernen, konstruktiver damit umzugehen. Neben der Selbstverantwortung, die wir alle haben, sind auch die Arbeitgeber gefragt, für gesunde Strukturen in ihren Unternehmen zu sorgen, damit ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Dauer gesund bleiben.“ Die Studie zeigt: Am Arbeitsplatz – dem Stressor Nummer ein – sind es vor allen Dingen die Arbeitsbedingungen, die krank machen. Zu den Hauptbelastungsfaktoren der Beschäftigten gehören: zu viel Arbeit (32 Prozent), Termindruck (32 Prozent), Unterbrechungen (28 Prozent), Informationsflut (23 Prozent) und schlechte Arbeitsbedingungen (19 Prozent). 

Manchmal helfen einfache Maßnahmen

Suzanne Jones: „Manchmal können schon einfache Maßnahmen das Arbeitsumfeld verbessern. Zum Beispiel ist eine gelebte Pausenkultur mit regelmäßigen und bewussten Fünf-Minuten-Auszeiten hilfreich. Da reicht es schon, kurz das Fenster zu öffnen, tief durchzuatmen und sich zu bewegen oder die Augen zu entspannen. Das spricht gezielt andere Hirnareale an, senkt den Stress und erhält die Leistungsfähigkeit.“ Gut sei es auch, störungsfreie Arbeitszeiten festzulegen, in denen Chat-Nachrichten und Mails ausgeblendet werden. „Führungskräfte haben dabei eine wichtige Vorbildfunktion“, so Jones weiter. Die TK unterstützt Unternehmen im Rahmen des gezielten Betrieblichen Gesundheitsmanagements, nachhaltige gesunde Strukturen zu etablieren. Jens Baas: „Die gute Nachricht ist, dass sich in Sachen positiver Unternehmenskultur in den letzten Jahren offenbar einiges in den Unternehmen getan hat. Mangelnde Wertschätzung und Konflikte mit Vorgesetzen sind im Vergleich zu den Vorgängerstudien auffällig zurückgegangen.“