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Änderungen zum Pflegebudget: Kliniken drohen gewaltige Einbußen

90 Prozent der Krankenhäuser drohen trotz der politischen Versprechen und Gesetze zur Stärkung der Pflege gerade in diesem Bereich Verluste von etwa 6 Prozent des Gesamtbudgets. Hintergrund ist ein Änderungsantrag zum Pflegebudget, der am Mittwoch vom Gesundheitsausschuss behandelt werden soll. Einer der Kernpunkte dabei ist eine rückwirkende und damit sogar möglicherweise verfassungswidrige Geltungsanwordnung zur Berechnung der Pflegepersonalkosten. Hier die Sachlage im Detail:

Der Änderungsantrag zum Pflegebudget (lfd. Nr. 38) führt zur Unterfinanzierung des Pflegebudgets

Der Änderungsantrag 38 der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz-GVWG) BT-Drs. 19/26822 ist mit den von den der Selbstverwaltungsparteien in Ausfüllung des eingeräumten Ermächtigungsumfanges zur Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten für das Kalenderjahr 2020 nicht in Einklang zu bringen und würde damit zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Unterfinanzierung des Pflegebudgets und damit in der Folge letztlich zu Entlassung von in der Pflege beschäftigten Mitarbeitern führen.

Rechtlich stellt der Änderungsantrag zu Art 5 Nr. 2 (§ 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes) und zu Art. 6 Nr. 2a, Nr. 4 (§§ 6a, 9 Krankenhausentgeltgesetz) in Bezug auf das Kalenderjahr 2020 ohnehin einen Verstoß gegen das Verbot der echten Rückwirkung dar und wäre danach verfassungswidrig.

Sachverhalt

Ausweislich der Begründung zum Pflegepersonal, Stärkungsgesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I S. 2394), mit dem § 17 b Abs. 4 im Krankenhausentgeltgesetz eingeführt wurde, handelt es sich bei der Ausgliederung der Pflegepersonalkosten für das Jahr 2020, die die Vertragsparteien nach § 17 b Abs. 2 S. 1 bis zum 31.01.2019 zu vereinbaren hatten, um „die erstmalige Ausgliederung von Pflegepersonalkosten für das Jahr 2020“. § 17 b Abs. 4 KHG ermächtigte die Vertragsparteien auf Bundesebene im Rahmen der Selbstverwaltung hierfür eine eindeutige, bundeseinheitliche Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten bis zum 31. Januar 2019 zu entwickeln, die die Krankenhäuser rückwirkend ab dem 01. Januar 2019 anzuwenden hatten. § 17 b Abs. 4 Krankenhausentgeltgesetz regelt dazu:

„(4) Die Vertragsparteien nach Absatz 2 Satz 1 haben auf der Grundlage eines Konzepts des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus die Pflegepersonalkosten für die unmittelbare Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen aus dem Vergütungssystem auszugliedern und eine neue Pflegepersonalkostenvergütung zu entwickeln. Hierfür haben sie insbesondere bis zum 31. Januar 2019 eine eindeutige, bundeseinheitliche Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten zu vereinbaren und dabei auch Regelungen für die Zuordnung von Kosten von Pflegepersonal festzulegen, das überwiegend in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen tätig ist. Die Krankenhäuser haben die Vorgaben zur Ausgliederung und zur bundeseinheitlichen Definition nach den Sätzen 1 und 2 für die Abgrenzung ihrer Kosten und Leistungen rückwirkend ab dem 1. Januar 2019 anzuwenden.“

Die Vertragsparteien nach §  17b Absatz 2 Satz 1 schlossen hierfür eine Vereinbarung nach § 17b Absatz 4 Satz 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) zur Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten und zur Zuordnung von Kosten von Pflegepersonal (Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung). Für das Kalenderjahr 2020 vereinbarten die Vertragsparteien der Selbstverwaltung unter § 1 Absatz 2 der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung:

„(2) Gemäß § 17b Abs. 4 S. 3 KHG haben die Krankenhäuser die Vorgaben zur Ausgliederung und zur bundeseinheitlichen Definition für die Abgrenzung ihrer Kosten und Leistungen rückwirkend ab dem 01.01.2019 anzuwenden. Die unter Beachtung der Vorgaben nach § 3 ermittelten Pflegepersonalkosten für das Jahr 2019 dienen gemäß § 6a Abs. 2 S. 1 KHEntgG als Ausgangsgrundlage für die erstmalige Ermittlung des Pflegebudgets im Vereinbarungszeitraum 2020 und sind dementsprechend auch maßgeblich für die Abgrenzung der DRG-relevanten Kosten von den Kosten, die bei der Ermittlung des Pflegebudgets zu berücksichtigen sind.“

Die Vertragsparteien nach § 17 b Abs. 2  Satz 1 hatten in Umsetzung ihres Auftrages damit eine eindeutige, bundeseinheitliche Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten gefunden, die für das Kalenderjahr 2020 unter § 1 Abs. 2 der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung regelte:

„(2) Gemäß § 17b Abs. 4 S. 3 KHG haben die Krankenhäuser die Vorgaben zur Ausgliederung und zur bundeseinheitlichen Definition für die Abgrenzung ihrer Kosten und Leistungen rückwirkend ab dem 01.01.2019 anzuwenden. Die unter Beachtung der Vorgaben nach § 3 ermittelten Pflegepersonalkosten für das Jahr 2019 dienen gemäß § 6a Abs. 2 S. 1 KHEntgG als Ausgangsgrundlage für die erstmalige Ermittlung des Pflegebudgets im Vereinbarungszeitraum 2020 und sind dementsprechend auch maßgeblich für die Abgrenzung der DRG-relevanten Kosten von den Kosten, die bei der Ermittlung des Pflegebudgets zu berücksichtigen sind.“

Mit dem aktuellen Änderungsantrag 38 zum GVWG zu Art. 6 Nr. 2a, Nr. 4 (§§ 6a, 9 Krankenhausentgeltgesetz) soll nun § 6 a Krankenhausentgeltgesetz um einen Absatz 7 erweitert werden, der abweichend von der Definition der Selbstverwaltungsparteien in der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung sowie des § 6 a Krankenhausentgeltgesetz nicht mehr auf das Kalender(vor-)jahr, nämlich 2019 abstellt, sondern auf das Kalenderjahr 2018, auf das die Vereinbarung für den Vereinbarungszeitraum 2021 abstellt. Der neue Absatz 7 soll nach dem Änderungsantrag lauten:

„(7) Sofern die Vertragsparteien nach § 11 bis zum … [Datum einsetzen: Tag des Inkrafttretens gemäß Art. 16 Abs. 1] noch kein Pflegebudget nach Abs. 1 S. 1 für das Jahr 2020 vereinbart haben, legen sie hierfür die nach § 17 b Abs. 4 S. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes vereinbarte Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten unter Zuordnung von Kosten für Pflegepersonal für das Vereinbarungsjahr 2021 dergestalt zu Grunde, dass die Vorgaben der Vereinbarung nach § 17 b Abs. 4 S. 2 zu Grunde zu legen ist.“

Unzulässige Geltungsanordnung der Vereinbarung 2012 für das Kalenderjahr 2020

Die Vereinbarung der Vertragsparteien nach § 17 b Abs. 2 Satz 1 für das Vereinbarungsjahr 2021, die nach dem Änderungsantrag 38 zur Anwendung angeordnet werden soll, stellt abweichend von der in § 1 Abs. 2 der Pflegepersonalkostenvereinbarung erfolgte Definition der Ausgangsgrundlage 2019 für den Vereinbarungszeitraum 2020 auf das Kalenderjahr 2018 ab. Für das Vereinbarungsjahr 2020 haben die Vertragsparteien nach § 17 b Abs. 2 Satz 1 entsprechend des Wortlautes des § 6a Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz das Jahr 2019 als Ausgangsgrundlage gewählt. Der Verfasser des Änderungsantrages 38 versucht einseitig die Sozialleistungsträger von den wirtschaftlichen Auswirkungen zu bewahren, die sich aus der von den Selbstverwaltungsparteien vereinbarten Definition der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung ergeben. Da alle Krankenhäuser entsprechend § 17b Abs. 4 Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz die bundeseinheitliche Definition ab dem 01.01.2019 anzuwenden hatten und die Jahresabschlüssen 2019 und 2020 schon abgeschlossen sind, können die Krankenhäuser nicht mehr eingreifen. Verschärfend kommt für alle Krankenhäuser hinzu, dass nach § 1 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz die Anwendung der Definition auf den 01.01.2019 maßgeblich für die Abgrenzung der DRG-relevanten Kosten von den Kosten, die bei der Ermittlung des Pflegebudgets zu berücksichtigen sind.

Mit anderen Worten: Der Änderungsantrag 38 zum GVWG stellt in der erkennbaren Intention darauf ab, dass Krankenhäuser nicht die tatsächlich entstandenen Pflegepersonalkosten aus der Definition der Vertragsparteien zu § 17 b Abs. 4 Krankenhausfinanzierunggesetz vollständig erhalten sollen, aber zukünftig die Kosten gleichwohl aus den DRG-relevanten Kosten bereinigt werden, womit die Krankenhaushäuser entgegen der seinerzeitigen Intention des Gesetzgebers der Refinanzierung der Pflegekosten verlustig gehen.

Verstoß des Änderungsantrages zu § 6a Abs. 7 Krankenhausentgeltgesetz gegen das Verbot der echten Rückwirkung

In rechtlicher Hinsicht verstößt der Änderungsantrag 38 zum GVWG jedenfalls für den Vereinbarungszeitraum 2020 gegen das Verbot der echten Rückwirkung. Die für die Krankenhäuser verbindliche Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten hat in Übereinstimmung mit § 6a Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz das „Vorjahr“ des Vereinbarungsjahres 2020, also das Kalenderjahr 2019, als Ausgangsgrundlage definiert. Die Vereinbarung für das Kalenderjahr 2021 stellt auf das Jahr 2018 ab.

Es handelt sich wegen des abgelaufenen Kalenderjahres 2020 und der bestehenden anderweitigen Regelungen um eine verbotene echte Rückwirkung, da es – anders als der Verfasser des Änderungsantrages 38 zur Begründung einer seiner Auffassung nach ausnahmsweise zulässigen unechten Rückwirkung annimmt – zur Beurteilung einer Rückwirkung nicht auf die Vereinbarung der Krankenhäuser und der Kostenträger auf Ortsebene ankommt, sondern allein darauf, was nach § 6a Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz der Inhalt der Ausgangsgrundlage ist: § 6a Abs. 2 Satz 1 Krankenhausentgeltgesetz regelt diesbezüglich:

„Ausgangsgrundlage für die Ermittlung des Pflegebudgets ist die Summe der im Vorjahr für das jeweilige Krankenhaus entstandenen Pflegepersonalkosten.“

Die Ausgangsgrundlage für die Ermittlung des Pflegebudgets ist den Vereinbarungen der Krankenhäuser und der Krankenkassen ausdrücklich nicht zugänglich, weil es sich schlechterdings nur um die Zugrundelegung der „entstandenen Pflegepersonalkosten“ im Kalenderjahr 2019 handelt.  „Entstanden“ sind diese durch Anwendung der bundeseinheitlichen Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten nach der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung, die die Krankenhäuser verbindlich nach § 17 b Abs. 4 Satz 4 Krankenhausfinanzierungsgesetz anzuwenden hatten. Eine Vereinbarung zum Pflegebudget nach § 6a Krankenhausentgeltgesetz für das Vereinbarungsjahr 2020 auch nach Inkrafttreten des GVWG ändert nicht (mehr) die nun bestehende Ausgangsgrundlage, weswegen die Anfügung des Absatz 7 zu § 6a Krankenhausentgeltgesetz aus dem Änderungsantrag 38 mit Bezugnahme auf ein das Kalenderjahr nicht die tatsächlich entstandenen Kosten aus Anwendung der Definition zu den auszugliedernden Pflegepersonalkosten mehr abbilden kann.

Damit handelt es sich um eine echte und damit stets unzulässige Rückwirkung, da der Sachverhalt abgeschlossen und den Parteien in der Gestaltung entzogen ist.

Auswirkung

Mehr als 90 Prozent der Krankenhäuser haben einen einseitigen wirtschaftlichen Nachteil, der zu einer erheblichen Minderfinanzierung und einem Erlösverlust von ca. 6 % des Gesamtbudgets von Krankenhäusern führen würde.